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proVal-Jubiläumstagung - "Gemeinsam handeln in der modernen Gesellschaft"

proVal-Jubiläumstagung

"Gemeinsam handeln in der modernen Gesellschaft: Verbindendes stärken – Trennendes überwinden" am 23. Juni 2017 im Werkhof Hannover

Das zehnjährige Bestehen von proVal war der Anlass für eine Jubiläumstagung zu dem Thema "Gemeinsam handeln in der modernen Gesellschaft: Verbindendes stärken – Trennendes überwinden". Die Impulse von Wilhelm Heitmeyer, Wolfgang Kühnel, Marianne Lück-Filsinger, Edith Halves, Ute Seckendorf, Rainer Strobl und Olaf Lobermeier haben in diesem thematischen Rahmen spannende Fragen beleuchtet und Anregungen für die anschließenden Diskussionen in Tischrunden gegeben.

Die Beiträge von Wilhelm Heitmeyer und Wolfgang Kühnel widmeten sich der aktuellen Debatte um die Integration von Geflüchteten. Wilhelm Heitmeyer kennzeichnete die Idealisierung von Flüchtlingen ebenso wie identitätsverletzende Assimilationsforderungen als zwei zentrale Diskurse einer "unterkomplexen Integrationsdebatte".



Beide Diskurse bringen aus seiner Sicht einen Widerspruch zum Ausdruck, da sie scheinbar Integration befördern wollen, diese aber im Grunde behindern, indem sie unrealistische Erwartungen an die Geflüchteten schüren. Das führe zum einen zur Enttäuschung von Erwartungen (Folge des Idealisierungsdiskurses) und zum anderen zu einem starken Bedeutungsschub der Identitätsressource Religion (Folge des Assimilationsdiskurses). Heitmeyer zufolge muss dagegen die Frage im Zentrum stehen, wie wichtige Anerkennungsquellen für die unterschiedlichen gesellschaftlichen Grup­pen erschlossen werden können. Wolfgang Kühnel lenkte den Blick im Zusammenhang mit der Integration von Geflüchteten vor allem auf die Konflikt- und Konkurrenzfelder Arbeit, Bildung und Wohnen. In dem Zusammenhang warnte er vor der Gefahr einer stärkeren sozialen Unterschichtung der Gesellschaft. Ferner mangele es insbesondere an Programmen für die Integration von zugewanderten Erwachsenen ab 30 Jahren. Einen konstruktiven Weg sieht er in einer besseren Verzahnung von Qualifikation und Arbeit. Die anschließende Tischrunde zum Thema "Integration" sprach sich dafür aus, alle benachteiligten Gruppen der Gesellschaft zu berücksichtigen und statt von Integration von Inklusion zu sprechen. Ferner diskutierte die Gruppe Vor- und Nachteile von symbolischer Politik sowie Möglichkeiten, eine Anerkennungskultur zu schaffen.

Einen anderen Widerspruch im Rahmen der Frage nach dem gesellschaftlichen Zusammenhalt deckte Ute Seckendorf in ihrem Beitrag auf.


Demnach konterkariert die Projektförderung durch gut ausgestattete Bundesprogramme die Regelstrukturen der Kinder- und Jugendhilfe. Ihrer Beobachtung nach werden kommunale Regelstrukturen reduziert, indem dort verankerte Personalstellen in die Projektförderung verlagert werden. Neben der Vernachlässigung der Regelstrukturen kritisierte sie die mangelnde Beteiligung der Zielgruppen an der Konzeption der Bun­desprogramme. Sinnvoll wäre es aus ihrer Sicht außerdem, die Programme für verschiedene – beispielsweise sozial benachteiligte – Zielgruppen durchlässig zu gestalten. Ferner fehle es an Angeboten der politischen Bildung für Erwachsene, die nicht der bildungsbürgerlichen Schicht angehörten, wie beispielsweise für den "56-jährigen Dachdeckermeister, der in seiner Freizeit Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr ist". Die anschließende Tischrunde diskutierte zunächst die Frage der Zielgruppenauswahl für pädagogische Projekte. Hintergrund war die Beobachtung, dass Projekte in Schulen mitunter nach dem Gießkannenprinzip anstatt aufgrund tatsächlich vorhandener Probleme durchgeführt werden. Außerdem ging es um verschiedene Ideen, demokratische Strukturen auf der praktischen Ebene zu stärken, wie beispielsweise Beteiligungsstrukturen an Schulen zu fördern und Lehrkräfte zum Thema Demokratie fortzubilden. Ein anderer Diskussionsstrang fokussierte das Problemfeld Rechtsextremismus. Hier diskutierte die Runde die subjektorientierte Pädagogik als produktiven Ansatz. Dass Extremismusbekämpfung häufig eng mit "ganz normaler Kulturarbeit" verbunden wird, wurde als kontraproduktiv eingeschätzt. Schließlich spielte auch hier die Frage einer gelebten Anerkennung eine Rolle. Als ein Problem wurde herausgearbeitet, wie es gelingen kann, alle relevanten Gruppen vor Ort gesellschaftlich einzubinden, wenn die Aufnahmekapazitäten von zivilgesellschaftlichen Institutionen beschränkt sind.

Aus der Perspektive der Evaluation beleuchteten Edith Halves und Marianne Lück-Filsinger die Kommunikationsprobleme mit Zielgruppen. Unter dem Titel "Konstruktiven Austausch gestalten" regten sie Gedanken darüber an, wie man mit den verschiedenen Stakeholdern – den Beteiligten und Betroffenen von Programmen und Projekten – ins Gespräch kommen kann.


Sie betonten eine prozesshafte Perspektive, wobei sie von einem sozialkonstruktivistischen Ansatz ausgingen, der eine soziale Tatsache als Produkt interaktiver Aushandlungen begreift. In dem Zusammenhang betrachteten sie die Selbst-Reflexivität als eine zentrale Kompetenz von Evaluatoren und gingen auf die verschiedenen Rollen ein, die diese in Bezug auf unterschiedliche Stakeholder einnehmen können. Die Tischrunde beschäftigte sich im Anschluss mit der Frage, wie es funktionieren kann, verschiedene Wissensbestände miteinander zu verbinden. Hier ging es um konstruktive und vor allem auch niedrigschwellige Wege und Formate der Partizipation von Beteiligten und Betroffenen. So könne es hilfreich sein, Akteure einzubeziehen, die als Türöffner für Beteiligtengruppen fungierten. Außerdem müsse das Feedback so inszeniert werden, dass es bei den Beteiligten auf Resonanz stößt.

Die Widersprüche, die sich in der Zivilgesellschaft mit Blick auf die Beteiligung von bestimmten Zielgruppen abzeichnen, veranlassten Olaf Lobermeier und Rainer Strobl zu fragen, wie sich politische Bildung neu denken lässt.


Sie identifizierten zunächst drei Paradoxien der Zivilgesellschaft. So würden etwa lokale Bündnisse und Netzwerke für Demokratie hauptsächlich von Bildungsbürger/-innen ohne Migrationshintergrund getragen, die zwar für eine möglichst umfassende gesellschaftliche Teilhabe einträten, aber schon durch ihre Sprachverwendung Personen ohne den entsprechenden Bildungshintergrund ausgrenzten (Paradoxie der Partizipation). Obwohl diese Gruppen nach außen den Ansatz der Vielfalt verträten, herrsche im Inneren eine große Homogenität sowohl bezüglich der Ansichten und Meinungen als auch im Hinblick auf die soziale und kulturelle Herkunft (Paradoxie des Pluralismus). Durch die Orientierung am Ideal einer konfliktlosen Gemeinschaft im Inneren dieser Kreise gebe es eine erhebliche Intoleranz gegenüber abweichenden Meinungen, während gleichzeitig nach außen das Ideal der Toleranz im Rahmen einer konstruktiven Konfliktkultur vertreten werde (Paradoxie der Toleranz). Anschließend betrachteten Strobl und Lobermeier die Konsequenzen dieser Paradoxien für die Frage der Stärkung demokratischer Kultur und der politischen Bildung. Sie stellten die These auf, dass die Angebote zur Stärkung demokratischer Kultur eher von bildungsbürgerlichen Idealen geprägt sind, die möglicherweise aber an den Bedürfnissen der Zielgruppen dieser Angebote vorbeigingen. Dahinter steht die Überlegung, dass eine ernsthafte Motivation zur Teilnahme an einem Angebot immer einem Bedürfnis der jeweiligen Zielgruppe entspringt. Um die Bedürfnislagen zu identifizieren müssten im Sinne Bourdieus die sozialen und milieuspezifischen Voraussetzungen der pädagogischen Situation und der Kommunikation zwischen Lehrenden und Lernenden reflektiert werden. Genau das könnte aber die Voraussetzung dafür sein, politische Bildung neu zu denken. Die genannten Paradoxien waren für die anschließende Tischrunde Anlass, um über die Wertschätzung von Zielgruppen zu diskutieren. Ein Vorschlag zielte auf das Coaching von Entscheidern zu diesem Aspekt. Ferner ging es um das Ausprobieren verschiedener Partizipationsformate, aber auch um die Reflexion der eigenen Position und darum, einen Dissens im offenen Diskurs auszuhalten, ohne auszugrenzen.

Mit einem musikalischen Ausklang und einem festlichen Dinner-Buffet endete die Tagung.




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